Erfahrungsbericht: Ein Jahr Work and Travel in Neuseeland

Kapitel 5: Zurück „nach Hause“

Nach einem Monat Arbeit beschloss ich, dass es an der Zeit war, weiter zu ziehen. Meine Arbeitsleistung bei Viticulture hatte sich Tag für Tag gesteigert und somit verdiente ich auch immer mehr Geld. Nach vier Wochen hatte ich das Gefühl, dass es genug war, genug Geld und genug von der Arbeit. Obwohl sie sich bei meiner Einstellung so geziert hatten, weil ich ihnen zu wenig Erfahrung hatte, bedauerten sie es sehr, dass ich schon ging und teilten mir mit, dass sie jeder Zeit wieder einen Job für mich hätten, wenn ich wieder einen bräuchte. Auch wenn ich wenig Lust darauf hatte, noch einmal dort zu arbeiten, so war es doch beruhigend, immer noch eine Möglichkeit zu haben, auf die man zurückgreifen konnte.

Roger und Sally schenkten mir an meinem letzten Arbeitstag noch eine Flasche Olivenöl aus Oliven, die ich ein paar Wochen zuvor selber gepflückt hatte.

Zurück auf die Nordinsel

Schweren Herzens nahm ich Abschied von meinen neuen Freunden aus dem Hostel und machte mich auf den Weg nach Wellington. Dort wollte ich eine Freundin treffen, die ich noch aus Auckland kannte. Sie wollte einige Zeit in Wellington verbringen, um dort zu arbeiten. Da mein neu verdientes Geld nur eine Weile reichen würde, fand ich diese Idee ganz gut und wollte mich ihr anschließen. Wir trafen uns in Wellington und wurden uns einig, dass die Arbeitssuche erst einmal warten konnte. Stattdessen setzten wir uns lieber ins Auto und machten eine Woche lang die Nordinsel unsicher – eines der Highlights: Snowboarden auf dem Vulkan Mt Ruapehu. Teuer, aber einmalig.

Wellington, Neuseeland

Zurück in Wellington machte sich meine Freundin Claire auf die Suche nach einem Job. Ich allerdings hing etwas durch und wusste nicht so recht, ob ich wirklich in Wellington bleiben wollte. Mir gefiel es dort einfach nicht so richtig. Wellington ist eine schöne Stadt, aber vielleicht war es die Jahreszeit. Es war Winter, kalt und windig. Ich habe es in meinem Leben noch nie dauerhaft so windig erlebt. Kein Wunder, dass man Wellington auch als die windigste Stadt der Welt bezeichnet.

Nein, in Wellington wollte ich nicht bleiben. Ich erzählte Claire von meiner Entscheidung: Ich wollte zurück nach Auckland, in der Hoffnung, dass es dort etwas wärmer wäre und um ehrlich zu sein, weil ich Heimweh hatte, Heimweh nach Auckland. Die Stadt, in der ich zu Beginn meiner Reise so viel Zeit verbracht hatte, war mir so sehr ans Herz gewachsen, dass ich dorthin zurückkehren und mich dort wieder für eine Weile niederlassen wollte. Und vielleicht auch, weil ich die Hälfte meiner Sachen ich Auckland gelassen hatte, als ich abgereist war. Claire verstand es; sie liebte Auckland und den Brown Kiwi Backpacker genauso wie ich. Sie brachte mich zum Zug und wünschte mir viel Glück.

Die Jobsuche in Auckland
Auckland, Neuseeland

Wieder zu Hause in Auckland riss ich die Zeitung auf und fraß mich durch die Stellenanzeigen. Es war nichts Passendes dabei, nichts, was mich ansprach. Aber wie konnte es auch anders sein, denn schließlich befand sich in meinem Hinterkopf schon eine ganze Weile eine ganz bestimme Idee, ein ganz bestimmter Gedanke. Der Wunsch, es einmal auszuprobieren, nur um zu wissen, wie es denn so war. Und dieser Job stand nicht in der Zeitung, nein, da musste schon etwas Eigeninitiative her.

Ich setzte mich neben das Telefon und schlug die Gelben Seiten auf. Kuriere… Ich klemmte mich ans Telefon und rief eine Kurierfirma an.

„Hallo, hier ist Johanna, ich wollte wissen, ob Sie Fahrradkuriere haben.“

„Ja, suchen Sie nach einem Job?“

„Ja genau, bräuchten sie noch Leute?“

„Tut mir Leid, im Moment nicht, wir haben genug.“

Das war mir egal, die Gelben Seiten waren voll von Firmen wie dieser und Auckland war voll von Fahrradkurieren, die einen ständig fast überfuhren. Da musste es doch eine Firma geben, die noch einen Kurierfahrer brauchte.

Und tatsächlich hatte ich Glück.

„Ja, kommen Sie doch morgen einfach mal vorbei,“ sagte Andrew und gab mir die Adresse des Büros.

Klasse, dachte ich mir und suchte die Straße auf dem Stadtplan. „Mist“, dachte ich mir dann, als ich sie gefunden hatte. Auckland ist flächenmäßig verdammt groß und das Büro von ART Couriers musste natürlich ganz weit weg von der Innenstadt sein.

Am nächsten Tag nahm ich den Expressbus über den Freeway. Natürlich hatte er Verspätung und natürlich war das Büro in einem Industriegebiet und ich musste von der Bushaltestelle noch ein ganzes Stück laufen. Und natürlich war ich zu spät dran und ich regte mich innerlich schrecklich auf – es musste doch einen furchtbar schlechten Eindruck machen, wenn man sich als Kurier bewerben wollte und gleich einmal zu spät kam!

Meine Strategie war ein breites Lächeln und eine schleimige Entschuldigung.

„Tut mir leid, ich bin ein bisschen spät…“

„Das macht nichts,“ lächelte Andrew zurück, schob mir einige Papiere hin und dann erklärte er mir etwas, was mich sehr überraschte. Als Fahrradkurier war man selbstständig und damit für seine Ausrüstung selber verantwortlich, das heißt, man musste sie auch selber bezahlen. Ein Fahrrad hatte ich ja bereits, aber alles andere, Arbeitskleidung, Tasche, Funkgerät, Pager… „Das kann man alles mieten“, meinte Andrew. Er erzählte mir, dass die Aufträge von dem Büro aus verteilt würden und ich von dem Preis, den der Kunde pro Auftrag gezahlt hatte, 60% kriegte. Mir ging das alles ein wenig zu schnell und ich war etwas enttäuscht, dass die ganze Sache mit so viel Eigenbeteiligung und Risiko verbunden war. Schließlich nahm ich den ganzen Zettelkram mit und überlegte mir die Sache noch einmal in Ruhe.

Obwohl es eigentlich überhaupt nichts zu überlegen gab, weil für mich ja bereits feststand, dass ich Fahrradkurier werden wollte. Ich dachte mir, dass es bei den anderen Firmen wohl genauso sein würde und darum beschloss ich, das Angebot anzunehmen.

Ein Job als Fahrradkurier in Auckland

Ich rief Andrew an und teilte ihm meine Entscheidung mit. Er sagte, dass er alles Weitere regeln und mir einen Fahrer organisieren würde, der mich am nächsten Montag mitnehmen könnte.

Ich wartete also vor dem Brown Kiwi Hostel auf Gaz. Ich hatte keine Ahnung, wie er aussehen würde oder was für ein Auto er fuhr. Ich war nervös. Aber es sollte sich alles als gar nicht so schwierig herausstellen. Denn als ein kleiner weißer Toyota um die Ecke flitzte und mit quietschenden Reifen vor meinen Füßen hielt, wurde mir schlagartig klar: So konnte nur ein Kurier fahren.

„Hi, bist du Johanna?“

„Ja,“ nickte ich zurück.

„Gut, dann steig ein, Andrew hat mich angerufen, dass ich dich heute mitnehme. Ich bin übrigens Gaz.“

Toll, ich stieg also in den Wagen ein und ehe ich mich versah, waren wir schon unterwegs in dem Straßengewirr Aucklands.

Er erklärte mir, wie alles funktionierte, der Pager, über den wir die Aufträge erhielten, das Funkgerät, über das wir in Kontakt mit der Zentrale blieben, die schriftlichen Formalitäten und die Kunden. Er zeigte mir, wo sie waren, wo sie ihre Eingänge versteckt hatten, in welchem Stockwerk sie sich befanden. Er erzählte mir, wie sie hießen und was für Klatsch es über sie gab. Gab es spannende Neuigkeiten, beispielsweise über eine der Empfangsdamen an der Rezeption der großen Büros und Firmen, so wurden sie sofort über Funk der ganzen Kollegenschaft mitgeteilt, damit auch jeder immer auf dem neuesten Stand war und wusste, wen er vor sich hatte, wenn er der entsprechenden Dame gegenüberstand. So erfuhr ich, dass die Kleine bei Warner Music etwas beschränkt war und immer alles etwas länger dauerte. Die Frauen in der Werbeagentur in der Franklin Road waren stets unfreundlich und nicht in der Lage, ihr Gesicht auch nur zu dem leisesten Lächeln zu zwingen. Collenso, No 100 College Hill, der größte Kunde: Dort sollte man besser die Treppen benutzen, das käme nämlich optisch nicht so gut, wenn man als Kurier den Aufzug nähme.

Alles klar, dachte ich mir und versuchte mir alles einzuprägen. Auch versuchte ich, mir die Adressen zu merken und wenigstens so zu tun, als wüsste ich, wo wir uns befanden. Aber um ehrlich zu sein, hatte ich die meiste Zeit überhaupt keine Orientierung. Es ging allerdings auch alles so furchtbar schnell. Geschwindigkeitsbegrenzungen schienen für Kurierfahrer einfach nicht zu existieren. Und rote Ampeln? Was war das? Einbahnstraßen? Habe ich noch nie gehört. Du wusstest nicht, dass man auf dem Gehweg nicht fahren darf? Auch nicht rückwärts? Und parken in zweiter Reihe auf einer Hauptverkehrsstraße mitten in der Stadt im Berufsverkehr? Und Leute, die sich darüber beschwerten, einen anschrieen und obszöne Gesten machten? Meine Güte, das war doch alles halb so wild… So war das eben als Kurier, ganz normal.

„Aber mit dem Fahrrad hast du es da sowieso viel einfacher,“ meinte Gaz hinterher noch, „nur bei Regen, da musst du aufpassen, da sind nämlich die Straßen nass.“

Alles klar, dachte ich mir, aber ehrlich gesagt, hatte ich nicht vor, so aggressiv zu fahren, dass ich rote Ampeln übersehen würde. Ehrlich gesagt war ich noch nicht einmal mit den sonstigen Verkehrsregeln besonders gut vertraut. Als Mensch ohne Führerschein macht man sich nie so richtig Gedanken über solche Belanglosigkeiten. Und wenn man dann in einem Land mit Linksverkehr ist, werden diese Belanglosigkeiten auf einmal richtig verwirrend.

Auf jeden Fall fuhr ich am nächsten Tag noch einmal bei Gaz mit und stellte fest, dass ich bereits einen besseren Überblick über die Stadt hatte.

Am selben Tag rief ich noch bei Andrew an, um mich über den weiteren Verlauf der Dinge zu informieren. Ja, er würde ein Treffen mit dem anderen Fahrradkurier arrangieren, um bei diesem einmal mitzufahren.

Ich traf mich also mit Junior. Junior war der seltsamste Kurier, den ich jemals getroffen habe. Er kam eine ganze Stunde zu spät zu unserem Treffen.

„Hab’ die Bahn verpasst.“ Aha.

Sein Fahrrad hatte keine Bremsen, er regelte das immer irgendwie mit dem Fuß. Junior hatte es nie eilig und wenn es ihm zu steil wurde, dann stieg er ab und schob. Wenigstens gab mir das Zuversicht, dass der Job trotz allem nicht so schwer sein konnte und ich ihn locker schaffen würde.

Erneut rief ich Andrew an, um endlich die letzten Formalitäten zu klären, wie z.B. den Vertrag zu unterschreiben und meine Uniform sowie meine Ausrüstung abzuholen. Da das Büro so weit außerhalb lag und die Reise dorthin mit öffentlichen Verkehrsmitteln eine Zumutung war, arrangierte Andrew es so, dass er mich an einem Tag abholte, an dem er sowieso in der Stadt zu tun hatte.

Mein Chef klingelte also an der Brown-Kiwi-Tür, um mich abzuholen. Ein bisschen peinlich war das schon. Ich meine, was macht das denn für einen Eindruck, in einem Backpacker zu wohnen…

Ich unterschrieb den Vertrag. Die ersten vier Wochen waren Probezeit und die Kündigungsfrist drei Tage. Danach betrug die Kündigungszeit vier Wochen. Ich bekam einen Satz Fahrradkleidung, eine große Umhängetasche, einen Pager, ein Funkgerät und meine Nummer. Jeder Kurier hatte eine Nummer, die er über Funk benutzte. Ich war 03. Gaz, z.B. war die 33 und Junior die 75. Andrew erklärte mir noch kurz, auf welchen Kanälen um welche Zeit gefunkt wurde und dann meinte er nur noch, dass ich am nächsten Tag anfangen könnte. Toll, das war genau, was ich wollte!

Der erste Arbeitstag
Auckland, Neuseeland

Am nächsten Morgen schaltete ich das Funkgerät ein und wartete gespannt auf meinen ersten Job. Es dauerte cirka eine Stunde, bis ich ihn bekam. Ich machte mich sofort auf den Weg, um das Objekt abzuholen und es auszuliefern. Das war toll, jetzt war ich ein echter Fahrradkurier in Auckland. Dass man nicht reich wurde mit einem Auftrag in der halben Stunde, war kein großes Geheimnis, aber sie wollten es einfach ein bisschen langsam für mich angehen lassen an meinem ersten Tag. Das war auch gut so, da ich die meisten Adressen noch auf meinem Stadtplan suchen musste, bevor ich mich auf den Weg machen konnte. Trotz allem blieb ich auch an meinem ersten Tag nicht von den Tücken und Gefahren dieses Jobs verschont. Ich fuhr gerade auf der Karangahape Rd, auch K Rd genannt, einer Straße mit vielen Clubs, trendigen Bars, Cafés und Shops, in Richtung Ponsonby. Eigentlich fuhr ich mehr auf dem Gehweg als auf der Straße, denn schließlich war es mein erster Tag und ich hatte es mit den Verkehrsregeln noch nicht so. Die Straße erschien mir einfach zu gefährlich. Und wie es sich in guter Kuriermanier eben gehört, hatte ich es mächtig eilig und bahnte mir meinen Weg durch die Fußgänger. Einer Frau mit einer riesigen Tasche schien das allerdings überhaupt nicht zu passen und sie schlug mir ihre Tasche wie zufällig gegen den Lenker, den es mir daraufhin nach rechts wegdrehte. In hohem Bogen flog ich von meinem Fahrrad und schlug hart auf dem Asphalt auf. Ich spürte einen brennenden Schmerz in meinem Ellenbogen. Stöhnend blickte ich zu der Frau auf, die zufrieden auf mich herabsah, mich schließlich einfach auf dem Boden zurückließ und ihren Weg fortsetzte. Ein Busfahrer, vor dessen offener Bustür ich gelandet war, rief mir besorgt zu: „Alles OK?“

Ich sah ihn an und nickte.

„Ja klar, alles ok.“ Schnell versuchte ich mich aus dem Gewirr von Fahrrad, Umhängetasche und Funkgerät zu befreien, sammelte meinen Pager vom Boden auf und machte mich schleunigst wieder auf den Weg nach Ponsonby. Mein Ellenbogen brannte noch immer, ich hatte mir die Haut aufgeschürft und blutete. Sonst schien aber alles in Ordnung mit mir zu sein. Das war das Desaster am ersten Tag und weitere ließen nicht lange auf sich warten.

Der ganz alltägliche Wahnsinn eines Fahrradkuriers

Platte Reifen mitten bei der Arbeit, leere Batterien im Pager, Funklöcher in den Aufzügen zwischen Erdgeschoss und 32. Stock, Regen, Regen und nochmal Regen. Ich war von morgens bis abends auf dem Fahrrad und es regnete von morgens bis abends. Ich wurde morgens einmal richtig nass und dann nie wieder trocken. Meine Schuhe waren voll Wasser und meine Finger vor lauter Regen so schrumpelig, als hätte ich zu lange in der Badewanne gelegen. In der Mittagszeit, während ich auf Aufträge wartete, fror ich wie ein Schneider und war froh, wenn es endlich wieder etwas zu tun gab. Dann hetzte ich, nur selten die Verkehrsregeln beachtend, durch die Stadt, einen Hügel hinauf und den nächsten wieder hinunter. Da wollte man schon mal den Schwung einer Abfahrt mitnehmen, um sich wenigstens ein Stückchen die nächste steile Straße hinauftragen zu lassen. Dabei konnte man nicht immer auf rote Ampeln achten. Erst mit viel Schwung zwischen zwei Reihen stehender Autos hindurch. Warum mussten die auch nur immer so dicht zusammen stehen, die Straßen waren doch breit genug – da war es kein Wunder, dass man mal den einen oder anderen Spiegel abfuhr! Dann hatte ich sowieso keine Wahl mehr, rüber über die rote Ampel oder der schreiende Fahrer würde mich noch vollends zur Sau machen. Und mitten durch die Fußgänger, die dabei waren, Kreuzungen zu überqueren. Wenn die nicht immer so panisch und unberechenbar versucht hätten auszuweichen, dann hätte ich auch nicht so blöd bremsen müssen und meine Geschwindigkeit dabei verloren!

Als ich allerdings auf einer Kreuzung der Queen St bei regennasser Straße fast frontal mit einem Mercedes zusammengestoßen wäre, weil ich trotz Vollbremsung weitergeschlittert bin, erinnerte ich mich an die Worte eines Mannes, den ich eigentlich als verrückt eingestuft hatte: „Nur bei Regen, da musst du aufpassen, da sind nämlich die Straßen nass.“

Ja Gaz, ganz recht, ich musste aufpassen. Auch zu den Seitenspiegeln der Autos bekam ich ein anderes Verhältnis, als ich mich eines Tages die Queen St hochkämpfte und von einer Autofahrerin überholt wurde, die so dicht an mir vorbeifuhr, dass sie mit ihrem Seitenspiegel meine rechte Hand am Lenker erwischte und ich einmal mehr fast vom Fahrrad gefallen wäre.

Trotz allem schlug ich mich gar nicht so schlecht. Ich bekam immer mehr Aufträge und regelte es auch meistens, sie in der vorgegebenen Zeit abzuarbeiten. Ich begann, die Kunden zu kennen und sie fingen an, mich zu kennen. Ich musste nicht mehr ständig den Stadtplan benutzen, denn allein anhand des Kundennamens wusste ich, in welchem Gebäude, in welchem Stock und in welchem Büro er sich befand. Ich musste nicht mehr laufend über Funk den netten Verteiler in der Zentrale und die netten Kollegen, die ich noch nie zu Gesicht bekommen hatte (außer Andrew, Gaz und Junior) fragen, wo sich nun genau der Eingang oder diese und jene Hausnummer befand.

Auckland, Neuseeland

Manchmal sah man einen Kollegen in der Stadt. Man konnte sehen, dass er ebenfalls bei ART Couriers arbeitete, aber trotzdem wusste man nicht, welche Stimme und welche Nummer zu ihm gehörte. Das blieb weiterhin ein Geheimnis – das Geheimnis der unsichtbaren Kollegen, die so hilfreich waren und mich bis vor die Tür des Kunden dirigiert hatten. Trotz allem, trotz der ganzen interessanten Orte, trotz der ganzen Plattenfirmen wie Warner Music, BMG, Universal, trotz der ganzen Modelagenturen, Banken, Architekten, Werbeagenturen, Fernsehsender, Kongresszentren, in denen ich immer erst mit den Security diskutieren musste, die mich wegen irgendeiner Veranstaltung nicht in das Gebäude lassen wollten – trotz der ganzen Yacht Clubs, der Hotels, des BMW Racing Teams, das mindestens einmal pro Tag einen Umschlag bekam und immer so verdammt weit weg war und trotz des geheimnisvollen Kunden in der Victoria St East, der immer einen winzigen Brief vor die Tür gelegt und die falsche Adresse daraufgeschrieben hatte – Junge, P&O Nedloyd ist jetzt im ANZ Tower in der Albert Street, nicht mehr im Air New Zealand Tower in der Customs St – trotz der Autoschlüssel, Handys, Videokassetten, CDs, Blaupausen, Modelmappen, viel zu großen Entwürfen von Designern, die nicht in meine Tasche passten, Kleidungsstücken, Dokumenten, Schecks, Bargeld und all der viel zu schweren Sachen, von denen ich nie wusste, was zum Teufel sie eigentlich waren – trotz all dem hatte ich nach vier Wochen genug. Rechtzeitig bevor meine Kündigungsfrist ein Monat geworden wäre, rief ich Andrew an und teilte ihm die traurige Nachricht mit. Er konnte es kaum fassen, wo ich mich doch so gut in den Job eingearbeitet hatte. Es tat mir auch schrecklich leid, aber um ehrlich zu sein, war es mir zu anstrengend. Ich war abends immer so erschöpft, dass ich es gerade noch schaffte, auf der Couch zu sitzen und fernzusehen. Und ich hatte genug von der Kälte und dem Regen. Ich wollte einfach nicht mehr!

Ich klemmte mich hinter den Computer und buchte online einen Flug in die Sonne. Eine Woche später brachte mich Freedom Air nach Brisbane, Australien.

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