Der Wettbewerb der Reisenden

Der Wettbewerb der Reisenden

Reisen wir, um besser und toller zu sein als andere? Reisen wir, um angeben zu können? Sind Leute, die weniger gereist sind unbedeutender? Muss man die Länder gezählt haben, in denen man war? Muss man auf Bali gewesen sein? Lohnt es sich überhaupt mit dem Reisen anzufangen, wenn man sowieso nie an diese tollen, professionellen, übermenschlich wirkenden Dauerreisenden, die schon auf der ganzen Welt waren, herankommen wird? Will man überhaupt an sie herankommen und so sein wie sie?

Der Wettbewerb der Reisenden

Manchmal kommt mir alles wie ein Wettbewerb vor. Nach dem Motto: Weiter, länger, mehr gereist.

Als ich ein Jahr Work and Travel gemacht habe, ist mir in den Hostels oft aufgefallen, dass es zwei Gruppen gab. Die Gruppe der Langzeitreisenden und die Gruppe derer, die nur kurz im Hostel waren, weil sie lediglich eine kurze Reise durch das Land machten. Einen normalen Urlaub eben.

Mit dem typischen Backpackersmalltalk wurde man dann innerhalb von Minuten in eine Kategorie einsortiert. Entweder war man akzeptabel oder nicht weiter beachtenswert.

„Hi, wo kommst du her?“

„Wo warst du schon überall?“

„Wie lange bleibst du?“

„Wie lange bist du insgesamt unterwegs?“

Wenn jemand auf die letzte Frage mit „vier Wochen“ geantwortet hat, dann war er meistens gleich mal unten durch und nicht weiter beachtenswert, weil er ja nur einer von den Touristen war, die mal eben ihren ganzen Jahresurlaub zuammengeklaubt haben, um durch das ganze Land zu hetzen.

Man war ja nur wirklich toll, wenn man lange unterwegs war, viel gesehen hat und noch viel vorhatte.

Auszug aus dem Reisetagebuch

Ich habe mal in meinem Reisetagebuch aus Neuseeland gestöbert und folgenden Eintrag über meine Erfahrung mit anderen Reisenden in Backpackers Hostels gefunden:

… dann prahlen die Leute immer damit, wo sie schon überall waren, wie oft sie schon um die halbe oder ganze Welt gereist sind, wie es an den exotischsten Orten der Welt war und dass man da ja unbedingt auch mal hingehen muss und überhaupt … Mir wird immer schlecht, wenn ich Leuten zuhören muss, die so überzeugt von sich sind und ihre Meinung für die einzig richtige halten und glauben, dass ihr Leben so toll und aufregend ist, dass sie es allen eintrichtern müssen …

Der Wettbewerb der Reiseblogger

Ich habe mich daran zurückerinnert, weil ich in letzter Zeit beim Lesen von Reiseblogs oder beim Stöbern auf Instagram manchmal einen ähnlichen Eindruck habe. In einigen Fällen erscheinen mir die Blogger sogar etwas überheblich. Vielleicht ist das auch nur mein Eindruck, möglicherweise komme ich bei den Lesern genauso rüber. Schließlich will man ja mit tollen Geschichten und Erfahrungen inspirieren und nicht langweilen. Vielleicht ist das einfach die Natur eines Reiseblogs…

Jedenfalls drängt sich mir manchmal der Gedanke an einen Wettbewerb auf. Plötzlich habe ich das Gefühl, dass man nur jemand ist, wenn man mindestens in 1.000 Ländern war. Wobei das „in einem Land gewesen sein“ dabei überhaupt nicht definiert wird. Das kann dann wahrscheinlich auch ein Tag in der Hauptstadt eines Landes gewesen sein und schon darf man es auf die Liste der „bereisten“ Länder setzen, bzw. der Länder, die man „kennt“.

Die ganze Reiserei kommt mir also wie ein Wettbewerb vor, in dem jeder mehr, länger und weiter gereist sein will als der andere, sei es in Reiseblogs oder in Hostels.

Mach deine eigene Reise

Ich möchte mit diesem Artikel angehende Reisende, egal ob Work and Traveller, Urlauber, Kurz- oder Langzeitbackpacker, darauf aufmerksam machen, das es dieses Phänomen unter Reisenden gibt.

Aber bitte, lass dich davon nicht verrückt machen. Wenn du reisen möchtest, dann reise einfach. Wenn du zwei Wochen verreist, dann sei genauso stolz darauf und freue dich ebenso sehr auf die Reise wie jemand, der zwei Jahre am Stück verreist.

Deine kurze Reise ist nicht weniger spektakulär. Es ist deine Reise und das Ziel auf deiner Reise ist es, deine Eindrücke und Erfahrungen zu sammeln, nicht die, die dir jemand in einem Reiseblog oder einem Backpackers Hostel vorgibt.

Lass dich nicht entmutigen, lass dich viel mehr inspirieren. Lass dir aber auch nichts vorschreiben. Finde deinen eigenen Weg und mach das worauf du Lust hast, auch wenn es außergewöhnlich oder zu normal erscheint.

Egal was du auf deiner Reise machst, mach es mit Stolz und Selbstbewusstsein, deine Reise und deine Erfahrungen werden einzigartig sein, weil es deine Reise ist, egal ob es deine erste oder deine 100. Reise ist, egal ob sie kurz oder lang ist und egal ob sie dich weit weg oder gleich um die Ecke führt.

Und warum Bali?

Und noch eine Frage zum Schluss: Wieso reisen eigentlich alle nach Bali? Muss man da gewesen sein? Ich habe das Gefühl, jeder zweite Reiseblogger war auf Bali und verehrt diesen Ort als wäre er das einzig wahre Reiseziel auf Erden.

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