Erfahrungsbericht: Ein Jahr Work and Travel in Neuseeland

Kapitel 4: Strippen in den Weinbergen?

Nun musste ich mich zusammenreißen. Ich hatte auch schon einen Plan. Als ich in Dunedin in die Zeitung gesehen hatte, war mir eine Stellenanzeige von Montana ins Auge gefallen. Montana, das größte Weingut in den Marlborough Sounds, suchte 400 Leute für „Pruning“ und „Stripping“. Was auch immer das war… Auch wenn es „Stripping“ hieß, so würde es doch wohl etwas mit Wein zu tun haben – und außerdem brauchten sie 400 Leute, also würden sie ja wohl etwas für mich haben, egal ob es nun „Pruning“ oder „Stripping“ war.

Ich schwang mich also wieder einmal auf mein Fahrrad und fuhr von Queenstown an die Westküste. Da ich von einem Unwetter aufgehalten wurde, entschied ich mich dann schließlich doch, mit dem Bus weiterzufahren – nicht, dass mir doch ein anderer den Platz wegschnappte und ich wieder einmal nur die 401. war, die dann ausgerechnet keinen Job mehr kriegen würde!

Schotterstraße bei Blenheim, Neuseeland

Die letzte Etappe von Nelson nach Blenheim fuhr ich aufgrund des schönen Wetters dann doch wieder mit dem Fahrrad. Ich brauchte zwei Tage dafür. Ich war schon einmal kurz in Blenheim gewesen, gleich nach meiner Ankunft auf der Südinsel, und wusste daher schon, in welchen Backpacker ich gehen wollte. Da ich wusste, dass ich noch am Morgen dort ankommen würde, sparte ich mir den Reservierungs-Anruf. Ich ging einfach persönlich vorbei, überzeugt davon, dass sie sowieso Platz hätten. Schließlich war es beinahe Winter und somit keine Saison. Allerdings hatte ich nicht damit gerechnet, dass 400 geldhungrige Menschen – ein Großteil Traveller – auch irgendwo wohnen mussten.

Die Jobsuche in Blenheim

„Oh, wir sind eigentlich ziemlich voll,“ versuchte Diana mir vorsichtig zu erklären, „ich habe nur ein Bett für eine Nacht.“

„Ich wollte eigentlich länger bleiben, weil ich zum Arbeiten gekommen bin,“ erwiderte ich.

„Ja, ich verstehe, das tun alle zu dieser Jahreszeit, weißt du, das ist richtig schwierig,“ erklärte sie mir und dachte eine Weile nach, wobei sie angestrengt in ihr Reservierungsbuch starrte. „Vielleicht kannst du doch länger bleiben, das Mädchen, das für morgen reserviert hat, wollte sich noch einmal melden, bevor sie kommt. Wenn sie das nicht tut, dann kannst du bleiben.“

Na, das klang wenigstens einmal positiv. Ich hatte noch Hoffnung.

„Du suchst nach einem Job?“ fragte sie dann schließlich.

„Ja genau,“ antwortet ich gespannt.

„Auf einem Weingut?“

„Ja genau.“

„Warte mal, da hat mich gerade so eine Frau angerufen.“ Sie nahm den Telefonhörer in die Hand und wählte eine Nummer, die sie auf einem Zettel notiert hatte. „Hallo Amie, ich habe hier jemanden, der gerne für euch arbeiten würde.“

Großartig. Ich wusste überhaupt nicht, was ich sagen sollte.

„Sie erwarten dich heute Nachmittag um 3:00 Uhr für ein Probearbeiten. Ich zeichne dir noch den Weg auf.“

Ich war sprachlos. Ich konnte nicht glauben, dass es tatsächlich so einfach sein sollte.

Es war das einzige Gebäude in der Stadt, das einem Bürogebäude am ähnlichsten kam. Es war das höchste Gebäude mit vielleicht vier Stockwerken. Im Aufzug drückte ich den Knopf neben der Beschriftung Viticulture NZ. Nervös stieg ich einige Etagen höher aus. Wie immer war ich viel zu früh, eine Angewohnheit von mir, die wenigstens besser war, als immer zu spät zu sein. Freundlich strahlend wie immer betrat ich das Büro und suchte nach einem Lebewesen, mit dem ich mich unterhalten konnte. Zwei Frauen in einem Gemeinschaftsbüro sahen mich überrascht an.

„Hallo,“ sagte ich mit zuckersüßer Stimme und breitem Lächeln, „ich bin hier, weil…“ Und ich erklärte ihnen die Lage.

„Oh.“ Sie waren überrascht.

„Da muss ich erst mal nachfragen,“ erwiderte die eine dann wenigstens, sprang auf und eilte den Gang hinunter.

„Ja, kommen Sie hier entlang,“ sagte sie kurze Zeit später und dirigierte mich in ein kleines, vollgestopftes und unordentliches Büro.

„Hallo, ich bin Andrew,“ begrüßte mich der Mann, der in dem Chaos stand, und reichte mir die Hand.

„Hallo, ich bin Johanna,“ stellte ich mich vor.

„Sie sind die Erste, wir warten noch auf drei andere, setzen Sie sich doch,“ er deutete auf zwei kleine Sofas, die sich gegenüber standen.

„Gleich da?“ vergewisserte ich mich freundlich und deutete auf die Berge von Akten die auf den beiden Sitzgelegenheiten lagen.

„Ja genau, oh, das räume ich weg.“ Hastig klaubte er die Ordner und losen Blätter zusammen und legte sie an eine andere unpassende Stelle. Nervös versuchte ich, etwas zu finden, an dem ich meinen Blick festklammern konnte, um nicht schweigend und verloren in der Gegend herumzusitzen. Ich fand nichts. Hoffnungsvoll kramte ich in meinem Rucksack und holte schließlich einen völlig uninteressanten Prospekt heraus, in den ich mich interessiert vertiefte.

„Haben sie schon einmal Wrapping gemacht?“ fragte Andrew mich schließlich gespannt.

Erschrocken sah ich ihn an.

„Ehm, nein,“ antwortete ich unsicher. Ich überlegte mir kurz, ob ich ihn fragen sollte, was Wrapping überhaupt war. Ich tat es dann aber doch nicht und ließ Andrew lieber in dem Glauben, dass ich wenigstens ein klein bisschen Ahnung von der Sache und der ganzen Situation hätte, obwohl mir in diesem Moment erst richtig bewusst wurde, dass ich nichts wusste. Ich wusste nicht einmal, was in diesem Job auf mich zukommen würde und trotzdem saß ich in Andrews unordentlichem Büro und tat so, als wüsste ich, worum es ging und müsste den Job deshalb unbedingt haben.

Zwei Mädchen spazierten durch die Tür und stellten sich vor. Sie waren genauso nervös wie ich – was mich ein wenig beruhigte.

„Wir warten nur noch kurz auf die letzte Person,“ meldete sich Andrew wieder zu Wort und warf einen besorgten Blick auf die Uhr, „er scheint zu spät zu sein.“

Probearbeiten auf dem Weingut

Ein paar Minuten später saßen wir in einem schmutzigen Pickup, dessen Fußboden mit Dreck und Müll übersät war und dessen Ablage von Zetteln, Kulis, gebrauchten Kaffeetassen und geschmolzenen M&Ms überquoll. Wir fuhren aus der Stadt, an vielen Weinplantagen vorbei, deren Reihen von Weinreben sich schnurgerade und flach neben der Straße bis zu den Hügeln erstreckten, die sich braun und kahl in der Ferne erhoben.

Arbeiten auf einem Weingut bei Blenheim, Neuseeland

Heather und Kate begrüßten uns auf dem Weingut. Sie wollten uns zeigen, was in dem Job gefordert wurde. Wir bekamen jeder einen Gürtel mit Ledertaschen, die sie uns mit Drahtstückchen und einer Rebschere füllten. Dann führten sie uns zu einer Reihe, die bereits geprunt und gestrippt worden war. Sie wollten uns nun zeigen, wie gewrappt wurde. Allmählich hatte ich das Gefühl, mehr Durchblick in der ganzen Sache zu bekommen und begann auch, mich sicherer zu fühlen. Wrapping war kein Hexenwerk, es war wirklich ganz einfach. Die Weinreben, die in Reihen an gespannten Drähten wuchsen, waren geschnitten worden, was man wohl pruning nennt, danach wurden sie gestrippt, was so viel bedeutet wie die abgeschnittenen Zweige aus den Drähten herauszuziehen. Nachdem sie dann auch noch getrimmt worden waren, indem man alle kleinen Triebe abgeschnitten hatte, waren nur noch der Stamm und drei bis vier saubere Zweige übrig geblieben. Wrapping bedeutet nun einfach die Äste auf die richtige Länge zu schneiden, zwei von ihnen um einen bestimmten Draht in der Reihe zu wickeln, die Enden mit den kleinen Drahtstückchen, die wir in unseren Taschen hatten, zu befestigen, die übrigen Zweige abzuschneiden und fertig. Dafür bekam man dann 10 Cent, wurde ich aufgeklärt. Pro Pflanze 10 Cent, falls es mehr Äste zu wickeln gab, auch mal 15 oder 20 Cent.

OK, ich konnte nicht behaupten, dass es der wundervollste Job war, den ich mir vorstellen konnte. Trotzdem zeigte ich mich begeistert und wollte unbedingt so schnell wie möglich anfangen. In der darauffolgenden Woche würden sie anfangen, die Pflanzen zu bearbeiten, erzählten sie mir, sie würden sich dann in ein paar Tagen melden. Ich war begeistert, füllte noch kurz den Bewerbungsbogen aus und verabschiedete mich.

Die Mitbewohner im Backpackers Hostel

Zurück im Hostel stieß ich auf ein volles Haus. Lauter dreckige Menschen saßen erschöpft auf Stühlen am Küchentisch oder auf der Couch.

„Hallo.“ Mir war das etwas unangenehm, wo das Haus doch bei meinem Verlassen noch völlig leer gewesen war.

„Hallo, bist du die Neue?“ fragten sie mich neugierig.

Ja, so war es, ich war die Neue und scheinbar schien das jedem aufzufallen, da sich sonst alle kannten. Krampfhaft versuchte ich, einige Gespräche anzufangen, erzählte immer wieder, dass ich hier war, um zu arbeiten. Ja, das waren sie alle, hörte ich immer. Ob die Arbeit denn gut sei. Da lächelten sie nur und meinten, es sei hart, aber was will man machen, wenn man das Geld braucht, nicht wahr? Ja, wahr, wahr.

Am Abend ging ich noch zu Diana, um herauszufinden, ob ich am nächsten Tag umziehen müsste oder ob ich bleiben konnte. Zu meinem Glück hatte sich das andere Mädchen nicht mehr gemeldet und das Bett gehörte mir, so lange, wie ich wollte. Alles schien perfekt: Ich hatte eine Unterkunft, einen Job in Aussicht und mit meinen Mitbewohnern kam ich immer besser klar. Aufgrund dieser positiven Lage entschied ich mich, ein wenig zu entspannen und einfach auf den Anruf von Viticulture zu warten. Ich machte mir einige schöne Tage mit kleinen Fahrradtouren und Wanderungen in der Umgebung.

Als aber die Woche immer weiter fortschritt und ich noch nichts von meinem zukünftigen Arbeitgeber gehört hatte, begann ich mir Sorgen zu machen, nahm den Telefonhörer in die Hand und rief Amie an.

„Hallo Amie, hier ist Johanna. Ich wollte nur wissen, wann ich anfangen kann.“ Ich hatte beschlossen, es so direkt wie möglich zu machen, um nicht erst lange um den heißen Brei herum reden zu müssen.

Die Antwort kam ebenso direkt wie unerwartet.

„Johanna, wir sind noch nicht so weit. Wir setzen uns erst morgen zusammen, um zu besprechen, wen wir haben wollen. Wir melden uns dann bei dir.“

Die Jobsuche geht weiter

Ich war schockiert. So war das doch nicht besprochen! Sie hatten mich doch im Büro gefragt, wann ich anfangen könnte und es hatte doch alles so geklungen, als hätte ich den Job bereits. In mir machte sich Panik breit. Ich hatte das Gefühl, dass mir mein Geld davonlief. Ich war schließlich fast eine ganze Woche herumgesessen und hatte es nur ausgegeben, weil ich mich in der Sicherheit eines zukünftigen Jobs gewogen hatte. Ich musste etwas tun, schnell. Ich lief auf die andere Straßenseite in das andere Haus des Hostels und suchte Diana. Ich erklärte ihr aufgeregt mein Problem, sie beruhigte mich und holte das Buch, in dem sie ihre Telefonnummern hatte. Sie gab mir einige Nummern von anderen Firmen, die auf Weingütern arbeiteten und die Nummer einer Olivenplantage. Zum Schluss gab sie mir noch den Tipp, doch einmal zu Montana zu gehen und mich dort zu bewerben. Montana waren die Größten in der Gegend und vielleicht hätte ich ja Glück. Ich bedankte mich bei ihr und schwang mich sofort auf mein Fahrrad, um den Highway 1 hinunter zu fahren, bis zu dem großen Haus inmitten von Weinreben. Diana hatte mir geraten, nicht in das Hauptgebäude zu gehen, dort sei nur das Restaurant. Es gäbe ein kleineres Bürogebäude hinter dem Haus. Ich fuhr also um das prächtige Gebäude herum und fand auf der Rückseite eine kleine Flachdachhütte mit der Aufschrift „Büro“. Ich stellte mein Fahrrad ab und ging hinein.

Die Frau an der Rezeption führte unbeirrt von meiner Anwesenheit ein sehr langes Telefongespräch. Als sie schließlich fertig war, erkundigte ich mich nach einem Job.

„Ja, was wollen Sie denn machen?“ fragte sie mich.

„Ist mir egal,“ antwortete ich, „Puning, Sripping oder Wapping,“ fügte ich noch schnell hinzu, um meine Fachkenntnisse unter Beweis zu stellen.

„Na, dann kommen Sie mal mit.“

Sie führte mich in ein Büro, dirigierte mich zum Schreibtisch und nahm dahinter Platz. Dann schob sie mir einen Bewerbungsbogen hin.

„Füllen Sie den aus.“

Ich füllte ihn geduldig aus, zeigte ihr mein Arbeitsvisum, meine IRD-Nummer, gab ihr meine Bankverbindung und war voller Hoffnung.

„Im Moment sind wir leider recht voll, aber sobald sich etwas tut, melden wir uns.“

Ich zwang ein verkrampftes Lächeln auf mein Gesicht und verabschiedete mich freundlich.

Genervt fuhr ich zurück. Im Hostel holte ich meinen Zettel mit den Telefonnummern heraus, den mir Diana gegeben hatte. Sie hatte erzählt, dass einige aus dem Hostel bereits bei verschiedenen Firmen arbeiten würden. Ich erkundigte mich bei meinen Mitbewohnern. Ja, ja, ich könnte mal anrufen, meinten sie, aber sie seien sich nicht sicher, ob sie tatsächlich noch Leute bräuchten.

Ich setzte mich ans Telefon und rief die Nummern an.

„Nein, tut uns leid, wir brauchen im Moment keinen mehr.“

„Nein wir sind voll.“ Es war überall dasselbe. Zuletzt rief ich die Nummer für das Olivenpflücken an. Der Mann am anderen Ende der Leitung war freundlich.

„Tut mir leid, wir haben bereits alle Stellen besetzt. Aber ich kenne da jemanden, der vielleicht noch Leute braucht, ihr Name ist Sally und ich könnte sie einmal für dich fragen.“

Ich gab ihm meine Nummer und hoffte, dass er sie auch wirklich fragen würde.

 

Am nächsten Tag rief ich wieder Amie von Viticulture an, weil ich keine Geduld hatte, auf ihren Anruf zu warten und weil ich das Gefühl hatte, dass sie sowieso vergessen würde anzurufen.

„Johanna, es sieht im Moment so aus, dass wir eine Liste von Leuten ausgesucht haben, die wir gerne hätten. Du bist leider nicht mit auf der Liste, das kommt daher, weil wir Leute wollen, die schon Erfahrung haben.“

Aha, das war ja ganz toll. Meine schrecklichsten Befürchtungen waren wahr geworden, ich fragte mich nur, welche Erfahrungen man brauchte, um ein paar Zweige um einen Draht zu wrappen. „Aber,“ meinte Amie noch, „wir rufen jetzt die Leute auf der Liste an und fragen sie, ob sie den Job noch möchten. Wenn einer abspringt, dann hast du noch die Möglichkeit reinzukommen.“

Das war ja wenigstens etwas. Missmutig legte ich den Hörer auf und versuchte mich abzulenken. Ich konnte nichts mehr tun außer warten. Ich versuchte, die Äußerungen der anderen über ihre Glanzleistungen bei der Arbeit und den damit verbundenen hohen Lohn zu ignorieren und mich auf anderes zu konzentrieren.

Ich hatte es kaum noch für möglich gehalten, aber schließlich klingelte doch das Telefon. Es war Amie und sie gab mir den Job. Ich war gerettet.

Der erste Job in Blenheim

Zwei Tage später ging ich ins Viticulture Büro und unterschrieb den Vertrag. Zwei Tage Kündigungsfrist, damit konnte ich leben, schließlich gab es mir ebenfalls die Möglichkeit, schnell wieder zu gehen, sollte die Arbeit überhaupt nichts sein. Am folgenden Tag stellte sich heraus, dass die Arbeit tatsächlich überhaupt nichts war: Ich hatte Blasen an den Händen, Muskelkater in den Unterarmen, so stark, dass ich kaum noch einen Stift halten konnte, um damit zu schreiben, ich konnte keine schweren Gegenstände wie Töpfe oder Pfannen hochheben und jede Bewegung zog einen anhaltenden ziehenden Schmerz nach sich. Nach meinem ersten Arbeitstag lag ich halbtot auf der Couch und versuchte mich so wenig wie möglich zu bewegen. Die Arbeit war schrecklich, gerne hätte ich alles hingeschmissen, aber ich blieb dennoch.

Weingut bei Blenheim, Neuseeland

Jeden Tag ging ich auf das Anwesen mit den endlos langen Reihen mit Weinreben und biss meine Zähne zusammen, um die Schmerzen nicht zu spüren und um meine Kraftlosigkeit zu ignorieren. Ich sah die anderen Arbeiter in ihren Reihen stehen und stupide ihre Arbeit verrichten, ich sah die Aufseher durch die Reihen laufen und die Arbeit kontrollieren und konnte den Gedanken an Sklavenarbeit nicht verdrängen. Ich mochte die Arbeit nicht, doch meine Mitbewohner im Backpacker taten das Gleiche und mit ihnen konnte ich mich austauschen. Sie hatten dieselben Erfahrungen wie ich und ihre Hände und Arme schmerzten genauso. Mit ihnen konnte ich darüber lachen und Dinge unternehmen, die Spaß machten.

 

Kurz nachdem ich bei Viticulture angefangen hatte, bekam ich einen Anruf von Sally wegen des Olivenpflückens. Ich hatte es schon total vergessen und überhaupt nicht mehr mit dem Anruf gerechnet.

Sie erklärte mir, dass sie mich noch brauchen könnte und ob ich immer noch Lust hätte. Ich fragte sie, ab wann das wäre. In meinen Gedanken war ich schon dabei, meine Kündigung bei Viticulture zu regeln und Sally zu fragen, ob sie zwei Tage auf mich warten könnte, wegen der Kündigungsfrist.

Als Sie dann meinte, dass sie gerne am Samstag anfangen würde, fiel mir ein Stein vom Herzen. Samstag war erst einmal gut, da würde ich nicht auf dem Weingut arbeiten. Ich sagte ihr, dass ich es gerne einmal ausprobieren wollte. Sie war einverstanden und erklärte mir noch, dass mich am Samstag jemand abholen würde.

Der zweite Job – Olivenernten

Gespannt wartete ich vor dem Haus und hielt nach einem Wagen Ausschau, in dem Suzi sitzen sollte, um mich abzuholen. Schließlich kam ein Auto langsam die Straße entlang gefahren. Es hielt auf der Straßenseite gegenüber dem Hostel und ich lief hinüber.

„Johanna?“ fragte die Fahrerin aus dem offenen Fenster.

„Ja,“ antwortete ich.

„Hi, ich bin Suzi, das ist John,“ sie zeigte auf den jungen Mann im Sitz neben ihr. „Steig ein.“

Wir fuhren die 15 km nach Renwick und ich fand heraus, dass Suzi und John Studenten an einem College für Weinbau waren. Sie brauchten einen Nebenjob und weil Roger und Sally, die Besitzer der Olivenplantage, Bekannte von Suzi waren, wollten sie einmal ausprobieren, dort zu arbeiten. Sie hatten beide vorher noch nie Oliven geerntet, so wie ich. Das beruhigte mich. Ich war froh, mich auf der Fahrt schon ein wenig mit den beiden anfreunden zu können und auch nicht ganz alleine an meinem ersten Tag auf der Plantage zu erscheinen. Es ist immer gut, in solchen Situationen in Gesellschaft zu sein.

Olivenernte bei Renwick, Neuseeland

Nachdem wir das versteckte Fleckchen außerhalb Renwicks gefunden hatten, parkten wir den Wagen vor den unzähligen Olivenbäumen und machten uns mit Sally bekannt. Sie war eine herzige Engländerin, die nach Neuseeland ausgewandert und nun stolze Besitzerin einer Olivenplantage war. Außer ihr war niemand auf dem Grundstück zu sehen. Sie führte uns zu ihrem Haus, das mitten auf der Plantage stand und deckte uns mit Handschuhen und kleinen gelben Plastikharken ein. Anschließend zeigte sie uns die Olivenbäume, die sie bereits für die Ernte vorbereitet hatte. Unter den Bäumen lagen orangefarbene Netze mit feinen Maschen. Sie zeigte uns, wie wir die Oliven pflücken sollten. Es war ganz einfach. Entweder man harkte sie mit dem kleinen Handrechen von den Zweigen oder man streifte sie mit den Händen ab. Die Oliven fielen dann auf das Netz und wurden später direkt aus den Netzen in Körbe gekippt, so einfach war das. Es war so einfach, dass wir gleich anfangen konnten. Wir drei machten uns also an die Arbeit und Sally half uns. Dabei erzählte sie von ihren Olivenbäumen. Sie waren noch ganz jung und im vorherigen Jahr gab es die erste Ernte. Da waren die Bäume allerdings noch so klein, dass sie keine extra Helfer brauchte. In diesem Jahr waren die Bäume schon so groß, dass sie uns dazu brauchte.

Während wir arbeiteten, trafen immer mehr Menschen ein. Sie wurden mir als die Grundstücksnachbarn vorgestellt, die Tochter der Nachbarn und ihr Freund. Schließlich kam auch noch Roger, Sallys Mann, und die Runde war komplett.

In der Mittagspause setzten wir uns auf die riesige Terrasse des wunderschönen Gutshauses und aßen. Da ich morgens beim Verlassen des Hostels nicht an Essen gedacht und mir nichts mitgebracht hatte, schmierte Sally mir ein Brot. Dazu gab es natürlich für alle Oliven aus der Vorjahresernte, verschiedene Olivenöle und selbst gebackenes Brot zu probieren. Zum Abschluss gab es Kaffee mit Keksen.

Was für ein Glücksgriff – die Arbeit war nicht so hart wie auf dem Weingut und die Leute waren so herzlich und nett. Ich kam mir weniger vor wie eine Arbeiterin, sondern wie ein Gast in ihrem Haus. Während wir Oliven ernteten, führten wir angeregte Gespräche über Reisen und die Kulturunterschiede zwischen Neuseeland und Europa. Die Zeit verging wie im Fluge und bevor die Dunkelheit einsetzte gönnten wir uns den Feierabend, setzten uns noch einmal auf die große Terrasse und tranken ein Glas Wein zusammen, um den wunderbaren Tag ausklingen zu lassen.

Sally bedankte sich für unsere Hilfe und gab uns unsere Schecks. Ob wir nächste Woche wieder kommen wollten? Natürlich wollten wir. Wir verabschiedeten uns, bedankten uns für die Gastfreundschaft und verabredeten uns für den nächsten Samstag. Mir fiel ein Stein vom Herzen, hatte sich doch am Ende alles von selber geregelt. Zwar musste ich weiterhin bei Viticulture arbeiten, konnte jedoch den Oliven-Job sofort annehmen und jeden Samstag dort arbeiten, ohne Kompromisse eingehen zu müssen.

 

Im Hostel war jeder neidisch auf mich und meinen tollen Nebenjob, der so menschlich war – nicht nur wegen der netten Leute und der Gastfreundschaft, sondern auch wegen des Stundenlohns, der einen nicht zu übermäßig hektischer Arbeit zwang. Alle anderen hatten ihre Pruning-, Wrapping- oder Stripping-Jobs, so wie ich auch, und litten schrecklich darunter. Blasen an den Händen, Schmerzen in den Armen, Hände, die nachts einschliefen und nicht mehr aufwachten. Ich konnte regelmäßig beobachten, wie meine Mitbewohner morgens in der Küche standen und ihre Hände gegen den Tisch stießen oder ununterbrochen schüttelten, um wieder Leben und Gefühl hineinzubringen. Kehrte das Gefühl dann wieder zurück, so war es schmerzhaft, sehr schmerzhaft. Ich habe es an meinen eigenen Händen erfahren. Allerdings kehrte das Gefühl in den Fingerspitzen meiner rechten Hand nicht wieder zurück. So sehr ich mich auch anstrengte – sie blieben taub.

So quälte ich mich jeden Tag durch die Arbeitswoche bei Viticulture und freute mich täglich auf das Wochenende, wenn ich endlich wieder zu Sally und Roger auf die Olivenplantage konnte.

Weiter zu Kapitel 5: Zurück „nach Hause“

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